Gertrud M. Lettau

Gertrud M. Lettau
Ein innerer Dialog über Schuld und Beschuldigung in einer Gruppe

Die Wissende: Philosophin A unterhält sich mit der Fragenden: Philosophin B

A: Nichts, aber auch gar nichts ist ohne Kontext zu verstehen und jede Art der Isolierung und Verurteilung einer Person ist daher eine Verfälschung und eine böswillige Unterstellung.

B: Aber wieso ist es dann möglich, dass dieses immer wieder geschieht, ja dass Gruppenmitglieder sich regelrecht einigen über jemanden, den sie ausschließen?

A: Man könnte sogar sagen, dass die Gruppe lustvoll ausschließt.

B: Was heißt das?

A: Das bedeutet, wenn dieser Ausschluss geschieht, so erfährt sich die Gruppe allererst als Gruppe!

B: Wie ist das zu verstehen, die Gruppe bestand doch vorher schon.

A: Ja, auf dem Papier, aber durch diese Eliminierung kann sich die Gruppe erstmals konstituieren.

B: Warum braucht eine Gruppe eine Ächtung, um als Gruppe sein und sich erfahren zu können?

A: Weil sie sich durch diese Absetzung von dem Ausgeschlossenen so als einheitliche Gruppe erfahren kann mit all den wunderbaren Begleitumständen einer Solidargemeinschaft, eines Zugehörigkeitsgefühls, eines Angenommen-sein vom Oberhaupt der Gruppe.

A: Dazu müsste man tatsächlich nochmal Sartre lesen, der gerade zur Gruppe und Gruppenbildung einiges geschrieben hat. Eine Gruppe ist nicht möglich ohne den generellen Ausschluss derer, die nicht zur Gruppe gehören.

B: Bei Sartre erinnere ich den sogenannten „ausgeschlossenen Dritten“, damit zwei sich gut verstehen bedarf es den ausgeschlossenen Dritten.

A: Deswegen sprach ich am Anfang vom Kontext, welcher wichtig ist.

B: Vielleicht erlaubst du mir einen Umweg des Gedankens, der mir gerade kommt, der zu passen scheint.

A: Ja, bitte! Alles, was einem einfällt in einem Gespräch hat etwas mit den Gedanken zu tun, die das Gespräch auslöst.

B: Es gibt ja massenhaft Geschichten über das Dreierverhältnis, auch wenn das Verhältnis nur ideologisch ist, dass zum Beispiel der Geliebte seine Geliebte verlässt, wenn sie sich scheiden lassen will.

A: Das stimmt!

B: Warum?

A: Denk mal nach! Was wird eigentlich geliebt?

B: Nicht die Frau?

A: Nein!

B: Der andere Mann?

A: Nein!

B: Was dann?

A: Das ist ein narzisstisches Problem!

B: Wie jetzt?

A: Er liebt sich selbst, indem er sich in dem anderen Mann homoerotisch, narzisstisch spiegelt!

B: Also verstehe ich das richtig? Er sieht sich selbst in dem Ehemann seiner Geliebten?

A: Ja!

B: Und die Geliebte, ist die nichts?

A: Sie ist nicht nichts, sondern eine Art Prämie, die man dazu bekommt.

B: Zu was?

A: Zu der Selbstbespiegelung.

B: Was sagen wohl die Hardcore-Feministinnen dazu?

A: Die Hardcore-Feministinnen würden wohl Folgendes sagen: Männer sind allesamt Arschlöcher, die dermaßen armselig sind, dass sie sich an allem vergreifen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, um nach getaner Tat auch noch dem Opfer die Schuld zu geben.

B: Irgendwie habe ich aber Probleme mit dieser Sichtweise! Immerhin sind ja Männer auch Söhne von Frauen, wie also kannst du sie dermaßen verdammen?

A: Da sprichst du wirklich ein Problem an, dass meines Erachtens bis heute nicht wirklich diskutiert wurde.

B: Aber eigentlich waren wir stehengeblieben bei der Gruppe, wie ist denn dieser Ausschluss des Dritten auf die Gruppe übertragbar?

A: Denk dir ein Beispiel. Was glaubst du, welche Charaktereigenschaft der Ausgeschlossene haben muss, um diesen Glückskick bei der Gruppe zu gewährleisten?

B: Er muss eher stark als schwach sein und am Besten mehr zu bieten haben als die Gruppenmitglieder selbst.

A: Da gebe ich dir Recht! Warum aber wäre jetzt meine Frage?

B: Weil ich denke, dass es immer glückvoller ist, einen starken Gegner zu besiegen als einen schwachen Gegner.

A: Wobei hier ja zu fragen wäre, was denn eigentlich als schwach oder stark anzusehen sei.

B: Ja, das ist wohl gar nicht so einfach zu beantworten.

A: Wenn du es im Kontext siehst doch. Wer ist denn stark in einer Gruppe?

B: Derjenige, der sich bewährt hat, schon lange dabei ist und vielleicht von der Materie ein größeres Wissen hat.

A: Genau! Und alle Nachfolgenden sind automatisch unterlegen.

B: Das ist aber doch klar und das müsste doch einfach nur anerkannt werden.

A: Warum?

B: Weil man nur so von dem Erfahreneren lernen kann.

A: Ja, das ist so, wenn da nicht jemand ist, der den Alleinanspruch der Kompetenz und Erfahrung für sich verbucht.

B: Aber derjenige könnte doch einen erfahrenen Mitstreiter oder eine erfahrene Mitstreiterin anerkennen und als geistige Unterstützung gebrauchen.

A: Aber nicht, wenn er sich gefährdet sieht in seiner Position.

B: Wann sieht sich denn ein kompetenter Philosoph gefährdet?

A: Immer dann, wenn da jemand ist, der oder die genau so gut Seminare oder Vorträge anbieten könnte.

B: Aber das wäre doch wundervoll, das könnte doch auch entlastend wirken wenn es in Kooperation stattfinden könnte.

A: Ja, aber da kommen jetzt ganz viele verschiedene Aspekte mit hinein.

B: Welche?

A: Zum Beispiel ist da die Frage, warum ist es nicht möglich, den anderen, die andere an der eigenen Seite zuzulassen? Das kann mit einem Gefühl der Beängstigung bis hin zur Phantasie der Selbstauslöschung oder milder gesagt mit einem Gefühl der Übervorteilung zu tun haben.

B: Wie kann diejenige, mir fällt gerade auf, dass es eine Frau ist, von der scheinbar die Rede ist, wie kann diejenige das ganze retten?

A: Unter den derzeitigen Vorzeichen (siehe oben) kann es nur der Mann tun.

B: Muss er sich dabei selbst entmännlichen/entmenschlichen?

A: Das ist eben die Frage und was es überhaupt heißt diese Männlichkeit und ihr Untergang.

B: Es ist spät geworden und ich schlage vor, es zu vertagen.

A: Was?

B: Die Fortsetzung unserer Gedanken.